20.02.2014
Ich möchte in diesem Bericht eine Erfahrung
schildern, die mich sehr bewegt hat, über die ich viel nachgedacht habe und die
ich nicht so schnell vergessen werde.
Heute war ein echt harter Tag für mich. Nicht aus
Gründen der Anstrengung, sondern psychisch. Ich muss sagen, dieser Tag hat mich
wirklich an meine Grenzen gebracht und vor allem beschäftigt es mich die ganze
Zeit und mir gehe diese Bilder nicht aus dem Kopf. Das Thema Schlagen ist ja in
Afrika allgegenwärtig und sehr präsent, vor allem in der Schule und Familie.
Gerade im Zwischenseminar haben viele Freiwilligen von ihren Erfahrungen mit
Schlagen von Schülern berichtet. Und ich war ehrlich froh, dass wir davon im
Health Centre kaum etwas mitbekommen. Ich bewundere sehr alle die, die sich
täglich dieser Herausforderung stellen und versuchen damit umzugehen. Im Health
Centre wird sehr oft „Basi Basi“ gerufen, was so viel heißt wie „Es ist gut“
oder „Hör auf“. Trotzdem läuft es hier auch noch mal ganz anders ab als in
Deutschland. Kinder müssen oft wie kleine Erwachsene sein. Ihnen wird kaum
erklärt, was wer auch immer jetzt mit ihnen macht, ob es nun um das Blut
abnehmen oder Spritze verabreichen geht. Und dann wundern sich alle, wieso das
Kind wie am Spieß brüllt. Heute bin ich nun doch mit dem Thema Schlagen und den
hiesigen Erziehungsmaßnahmen konfrontiert worden. Ich habe in der hoch modernen
Zahnarztpraxis gearbeitet und sozusagen assistiert. Es war nicht viel los. Den
meisten Patienten wurde nur ein Zahn gezogen und das ging meistens ziemlich
fix. Außerdem herrschte so ein fieses Regenwetter, so dass sicher keiner Lust
hatte aus dem Haus zu gehen. Der circa fünfte Patient an diesem Vormittag war
ein 5 Jahre alter Junge namens Wisman. Ich dachte mir schon gleich am Anfang,
oh ein fünfjähriger Junge und musste an die Situation denken, die Johanna schon
erlebt hatte, mit dem doch rabiaten Ziehen eines Zahnes bei einem vierjährigen
Jungen. Wisman legte sich also widerwillig auf den großen Zahnarztstuhl und
schaute mich mit großen Augen an. Sr. Marselina musste ihn erst mal überzeugen,
dass sie nur seine Zähne anschauen möchte. Er lies sich überreden und öffnete
tapfer seinen Mund. Ein Zahn war mit Karies befallen. Eine Füllung wäre möglich
gewesen, aber der Vater oder Großvater, weiß ich nicht genau, wollte das nicht.
Hoffentlich war es nur ein Milchzahn. Dann präparierte Sr. Marselina die
Betäubungsspritze. Doch jeder von euch kennt diese riesigen Zahnarztspritzen.
Kein vertrauenswürdiger Anblick. Ich habe aber mittlerweile herausgefunden,
dass wir auch Kinder taugliche kleine Spritzen haben. Als diese der Junge sah,
begann er fürchterlich zu weinen und machte seinen Mund nicht mehr auf. Der Mann,
der mit ihm gekommen war, redete wie wild auf ihn ein und versuchte mit aller
Kraft den Mund aufzubiegen. Aber der Junge blieb standhaft. Daraufhin versuchte
Sr. Eutropia, eine junge Schwester, die angelernt wird, ihr Glück mit ihrer
beruhigenden Stimme und ganz lieb. Sie versuchte ihm zu erklären, was die
Spritze bringen sollte, dass er keine Angst haben müsste. Aber wie sollte sich
der Junge auch beruhigen, wenn der Mann permanent weiter auf ihn ein brüllt und
die ganze Zeit meint, er würde ihn gleich alleine lassen und gehen. Der Junge
stand auf und wollte ihm hinter her. Doch das Einzige, was der Mann machte, war
dem Jungen ein paar runter zu hauen und zu sagen, du gehst da jetzt wieder
rein. Irgendwann machte der Junge den Mund wieder ein kleines Stück auf. Die
Schwester pikste ein mal kurz rein und schon fing der Junge an um sich zu
treten und zu weinen. So holte der Mann einen zweiten Mann, eventuell Vater
oder großer, erwachsener Bruder. Unser Watchman wurde gerufen, um mit
festzuhalten und Sr. Catherine, die andere Zahnärztin, die gut mit Kindern
umgehen kann, aber an dem Tag eigentlich frei hatte. Sr. Catherine versuchte
den Jungen etwas zu beruhigen, aber der hatte schon zu gemacht und hörte gar
nicht mehr hin. Also wurde er auf den Stuhl gesetzt und von allen festgehalten.
Natürlich machte der Junge den Mund nicht brav auf, als er erneut die Spritze
sah. Immer wieder kam die Drohung, ich hole gleich den Stock oder zu Hause
wirst du geschlagen. Doch es half nichts. Also ging der jüngere Mann nach draußen
und brach erst einen kleinen Ast und später einen größeren von einem Busch ab.
Ich konnte es echt nicht fassen. Er wurde ins Bein gekniffen, damit er den Mund
aufmacht. Ihm wurde die Nase zu gehalten, damit er den Mund aufmacht. Und es
wurde mit dem Ast auf seine Beine geschlagen und sogar an die Wange ins
Gesicht. Alle hielten ihn die ganze Zeit auf dem Stuhl fest. Der Junge
schluchzte nur noch und schaute starr in die Gegend. Irgendwie wurde die
Spritze in den Mund gequetscht, und
irgendwann war auch der Zahn raus. Ich glaube alles insgesamt dauerte fast zwei
Stunden. Als der Zahn dann endlich raus war, richtete sich der Kleine gerade
auf dem Stuhl auf und bekam noch mal ein paar Hiebe auf den Po und den Rücken.
Draußen sollte er sich auf die Bank setzen und sich beruhigen. Keiner nahm ihn
den Arm. Niemand hatte ein paar tröstende Worte. Alles war doch normal. Wie
hätten sie es auch anders machen sollen, so die Frage.
Und die Schwester hatte noch den guten Tipp,
diesen so unwilligen Jungen besser auf ein Internat zu schicken, da würde er
schon Manieren lernen und vor allem Respekt und Disziplin.
Ich habe mit dem Ganzen immer noch nicht
abgeschlossen. Zu gern hätte ich den Jungen in den Arm genommen. Doch hier ist
es so tief verankert. Der Mann schlägt seine Frau, die Eltern schlagen ihre
Kinder, die Kinder schlagen die Tiere und später selber ihre Kinder.
Wenn wir hier erzählen, dass es verboten ist uns
in Deutschland in der Schule zu schlagen, dann fragen sie uns, wieso wir dann
gelernt haben. Sie können sich nicht vorstellen, dass unsere Eltern uns nicht
schlagen. Vergessen wir auch nicht, was unsere Eltern gesagt haben, wenn wir
nicht geschlagen werden? Es kann sich einfach keiner vorstellen. Eine
Freiwillige hat erzählt, dass eine Schülerin ihrer Secondary School selber
gesagt hat, ich habe diesen Monat nicht so gute Noten geschrieben, weil ich
selten geschlagen wurde.
Ich habe mich einfach ohnmächtig gefühlt. Ich
hatte nicht das Recht einzugreifen. Aber ich hatte das Recht zu sagen, ich
möchte nicht mit festhalten, ich möchte den Raum verlassen.
Für alle von euch, die es interessiert, hier ist die Blogadresse von
Nele. Sie arbeitet in einer Primary School in Himo. So könnt ihr auch in ihre
Erfahrungen ein mal reinschnuppern!
www.nele-in-afrika.auslandsblog.de
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